Thema: Sprachpolitik in Peru
Referent: Jürgen Kleff
Datum: 16. 6. 1994
"une nation, donc une langue"
Sprachpolitik, die Minderheitensprachen unterdrückt --> Identitätskrise der ihres kulturellen Erbes beraubten und ökonomisch und sozial Verelendeten
--> Ruf nach Gleichberechtigung der Sprache und Kultur als letzte Möglichkeit, koloniales Unrecht wieder gutzumachen, Betonung des "Andersein" als Identitätsstiftung
--> Peru: Rettung der (künstlichen) Nation durch offizielle Gleichbehandlung von Quechua und Spanisch
Peru:Jahr Gesamt- Quechuasprecher absolut/% der Gesamtbev. Analpha-
bevölkerung monolingual bilingual gesamt beten
1940 5.2 Mio 1.6 / 31,0% 0.8 / 15.6% 2.4 / 46.6%
1961 8.2 Mio 1.4 / 16.8% 1.3 / 15.7% 2.7 / 32.5%
1972 11.8 Mio 1.3 / 11.4% 1.7 / 14.5% 3.0 / 25.9%
1975 15.6 Mio 2.7 / 17,0% 32%
1983 15,0 Mio 1.1 / 7.7% 3.2 / 22,0%
1987 1.4 3.5
1990 21.9 Mio 20%
1992 22.8 Mio
1993 23.2 Mio 15%
Ethnische Verteilung
45% Indios, 37% Mestizen, 15% Weiße, 3% sonstige (1993)~ 100.000 Waldindios
Aber: Slums der Großstädte (mehr Einwohner als die eigentlichen Zentren) ehr andine Bevölkerungscharakteristik, auch entwickelte Gebiete in Anden
=> Zwei Lebensbereiche (geographisch definiert, aber ökonomisch eingeteilt):
viele lokale Varietäten
nur eine der vielen nichtspanischen Sprachen Perus, aber die mit dem größten Verkehrswert, die bedeutendste, Quechuasprecher auch in Bolivien, Argentinien, Ecuador, Kolumbien, insgesamt ca.
1977: 8 Mio, 2.7 Mio in Peru
1987: 9-11 Mio, 3.5 Mio in Peru
problematische Schätzungen, da niedriger Prestigewert
z. Vgl. Bolivien 1974: 5.6 Mio Einwohner, davon 35% Quechua, 25% Aymara, 40% Spanisch (offizielle Sprache)
Sprache des totalitären expansionistischen Inkareiches, Kommunikationsmittel der Inka-Kolonialmacht, die sich im 15.Jh. von Cuzco aus von Chile bis Kolumbien, vom Pazifik bis zu den Amazonasurwäldern, aber primär in den Anden, ausdehnte.
Die Inka selbst stammten aus den Amazonaswäldern und hatten Quechua von einem der ersten Stämme, auf die sie in den Anden trafen, übernommen.
Nach der Zerstörung des Inkareiches war nur in vergleichsweise wenigen Gebieten (nördliche Küstenregionen, Cajamarca, Quito, Callao) ein Abfall von der Staatssprache Quechua und eine Rückkehr zu den alten Sprachen zu beobachten, obwohl Quechua ja nur ein knappes Jahrhundert zur Etablierung hatte.
Aber: (restriktive Sprachpolitik der Inka plus)
koloniale Ausbeutung und Zerstörung der Kultur und Lebensweise durch die Spanier => Desorientierung => Bereitschaft, vermeintlich Authentisches zu bewahren, zwecks Selbstfindung
Kirche erkannte das früh, benutzte Quechua zur Christianisierung
Soziale und sprachliche fundamentale Veränderungen durch koloniale Entwicklung:
1) gewaltsame Einführung der spanischen sozioökonomischen Kolonialstruktur in den völlig fremden Kulturkontext
2) gewaltsamer Verdrängungsversuch der ursprünglichen Kultur => hispanisch-christliche Herrschaftslegitimation
3) passiver Widerstand, Sich-Zurückziehen der Überlebenden, Authentisches aus der Inkazeit als passiven Protest bewahren oder sogar neu annehmen
==> sozial gespaltene Sprachengemeinschaft
- multilinguale / größtenteils nicht-hispanophone Unterschicht
- monolinguale hispanophone Oberschicht
Aufstieg nur durch Hispanifizierung und Christianisierung möglich (Abkehr vom "Barbarischen")
Interessen der Kolonialmacht ersetzt durch die Interessen der Oberschicht (Handel und Großgrundbesitz)
Oberschicht zieht in die Hauptstadt Lima und klimatisch angenehmere Regionen
Innerer Kolonialismus:
- Ausbeutung der vernachlässigten hochandinen Regionen
- Konzentration des (ausländischen) Investitionskapitals auf urbane Zentren, besonders Lima ( ==> dort auch Arbeit)
Gleichberechtigung von Quechua, bzw. der Bevölkerungsteile
1) 3. 10. 1968 stürzt linksgerichtete Militärjunta unter General Alvarado die Regierung Belaúnde.
Landreformen zugunsten Gebiet B) -> neue Probleme in A), Wirtschaft geht bergab
Betonung des bikulturellen Charakters des Landes:
- Aufklärung über Kulturleistungen vor Kolonialzeit
- Alphabetisierung in B) (teilweise erreicht, s.o.)
2) 27. 5. 1975 Oficilazación del Quechua (Gesetz)
Versuch, ökonomische Versäumnisse durch linguistische Beeinflußung zu mildern)
- Quechua und Spanisch Landessprache
- ab 1.4.1976 Unterricht in Quechua auf allen Stufen des Erziehungswesens obligatorisch
- ab 1.1.1977 alle Gerichtsvorgänge auf Quechua, wenn quechuophone Parteien beteiligt
- Erziehungsministerium und andere zuständige Stellen: Vorbereitung und Edition von Wörterbüchern, Texten, Manualen, Dokumenten
=
Sprachpolitischer Versuch (mit unterstützenden ökonomischen Maßnahmen) ökonomisch nicht vorhandene Einheit der Nation zu erreichen (läßt allerdings multilinguale Situation Perus außer acht (etwa 6% andere Sprachen)
immense Kosten / Schätzungen: Prozeß kann nach 2 Generationen abgeschlossen sein
1975(77?) Junta Bermúdez: Interesse an Quechua geht zurück
in Verfassung
- Spanisch offizielle Sprache, Quechua und Aymara offiziell gemäß weiteren Gesetzen
- Förderung der indigenen Sprachen, Recht von Quechua, Aymara u.a. auf Grundschulerziehung in Muttersprache
=> d.h. anerkannt, aber nicht mehr gefördert,
bis heute keine Gesetze, die offizielle Geltungsbereiche für Quechua und Aymara festlegen
aber gescheitert:
- technische Probleme
- zu geringe begleitende und unterstützende Politik
- auch Widerstand seitens Quechuabevölkerung:
Spanisch ist wichtiger für Bildung
Quechua ist die Sprache für die ayllu (Familie, Bezugsgruppe)
= Trennung der Bereiche / Zuständigkeit von Sprache (Quechua gut für dies, Spanisch gut für das)
Aufwertung des Quechua, Neigung zur Verleugnung der Muttersprache geht zurück, Quechua wird als etwas Eigenes, Besonders wahrgenommen (Stolz, da Quechua "schwierige" Sprache -agglutinierend)
Bewußtsein der Mehrsprachenproblematik nimmt zu im öffentlichen Bewußtsein, nicht nur in Quechuagemeinden
Quechua erfährt höhere Wertschätzung, aber Spanisch wird benötigt.
Klerus erstellt im 16.Jh. erste Manuale,
Edikt Felipe II. 1580: Evangelium in Indiosprachen lehren
an Ablegern europäischer Unis in Lima: Lehrstühle für Indianersprachen
aber sprachkoloniale Intentionen: europäische Fragestellungen, Latein als Maßstab für morphologische, grammatische, lexikalische "Entwicklung"
sprachhistorische Betätigung (18., 19. Jh), bis weit ins 20. Jh. wie in Europa unter nationalen Aspekten (Peruanismus etc)
Inka: keine horizontale Kommunikationsmittel aber vertikale: Quipu für Verwaltungsinformationen
=> unterschiedliche Graphien (Schriftformen)
z.B. für KLEINKIND
Middendorf-Grammatik: HUAHUA
hispanische Graphie: GUAGUA
1954 simplifizierte Normographie des Interamerikanischen Indigenistenkongresses, in Peru und Bolivien offiziell: WAWA
Lösungsvorschläge für Quechua-Alphabet:
älteste 1560
deutschsprachige: Middendorf ~1890
o.a. 1954
1973 Vorschläge des Instituts von Pucallpa
1975 Alberto Escobar, José Matos Mar, Giorgio Alberti
Jürgen Kleff (kleff@ling.uni-duesseldorf.de)