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Grundkurs II - Sprachplanung und Sprachpolitik

Thema: Sprachpolitik in Peru

Referent: Jürgen Kleff

Datum: 16. 6. 1994

Literatur:

  • Horst G.Klein: Sprachpolitik in Lateinamerika (am Beispiel Peru), in: Studium Linguistik 3 (1977), S. 20-26

  • Nancy H. Hornberger: Bilingual education success, but policy failure, in: Language in Society 16 (1987), S. 205-226

  • Nancy H. Hornberger: Can Peru's rural schools be agents for Quechua language maintenance?, in: Journal of Multilingual and Multicultural Development 10 (1989), S. 145-159

  • Nancy H. Hornberger: Bilingual education and language maintenance, 1988

  • Utta v. Gleich: Die soziale und kommunikative Bedeutung des Quechua und Spanischen bei Zweisprachigen in Peru (1968-1978), Dissertation 1982

  • Gopher der RED CIENTIFICA PERUANA

    Vorbemerkungen

  • Schwarzafrika: Kolonialsprache aus ökonomischem Interesse beibehalten, insbesondere in frankophonen Ländern:

    "une nation, donc une langue"

  • umgekehrte Entwicklung in Peru:

    Sprachpolitik, die Minderheitensprachen unterdrückt --> Identitätskrise der ihres kulturellen Erbes beraubten und ökonomisch und sozial Verelendeten

    --> Ruf nach Gleichberechtigung der Sprache und Kultur als letzte Möglichkeit, koloniales Unrecht wieder gutzumachen, Betonung des "Andersein" als Identitätsstiftung

    --> Peru: Rettung der (künstlichen) Nation durch offizielle Gleichbehandlung von Quechua und Spanisch

    Bevökerung Perus

    Sprachliche Verteilung:

    Peru:
    

    Jahr Gesamt- Quechuasprecher absolut/% der Gesamtbev. Analpha-

    bevölkerung monolingual bilingual gesamt beten

    1940 5.2 Mio 1.6 / 31,0% 0.8 / 15.6% 2.4 / 46.6%

    1961 8.2 Mio 1.4 / 16.8% 1.3 / 15.7% 2.7 / 32.5%

    1972 11.8 Mio 1.3 / 11.4% 1.7 / 14.5% 3.0 / 25.9%

    1975 15.6 Mio 2.7 / 17,0% 32%

    1983 15,0 Mio 1.1 / 7.7% 3.2 / 22,0%

    1987 1.4 3.5

    1990 21.9 Mio 20%

    1992 22.8 Mio

    1993 23.2 Mio 15%

    Ethnische Verteilung

    45% Indios, 37% Mestizen, 15% Weiße, 3% sonstige (1993)

    ~ 100.000 Waldindios

    Zwei Hauptproblemzonen:

  • - urbanisierte Zentren mit überwiegend mestizischer Bevölkerung und ca. 10% Weißen, insgesamt 60% der Bevölkerung

  • - Andine Gebiete (Altiplano) vorwiegend indianische und mestizische Bevölkerung, von der ökonomischen Entwicklung vernachlässigt

    Aber: Slums der Großstädte (mehr Einwohner als die eigentlichen Zentren) ehr andine Bevölkerungscharakteristik, auch entwickelte Gebiete in Anden

    => Zwei Lebensbereiche (geographisch definiert, aber ökonomisch eingeteilt):

  • A) hispanophone Gesellschaft

  • B) Indigene Gesellschaft des Altiplano: Spanisch als Verwaltungssprache, Quechua herrscht alltäglich vor

    Quechua:

    viele lokale Varietäten

    nur eine der vielen nichtspanischen Sprachen Perus, aber die mit dem größten Verkehrswert, die bedeutendste, Quechuasprecher auch in Bolivien, Argentinien, Ecuador, Kolumbien, insgesamt ca.

    1977: 8 Mio, 2.7 Mio in Peru

    1987: 9-11 Mio, 3.5 Mio in Peru

    problematische Schätzungen, da niedriger Prestigewert

    z. Vgl. Bolivien 1974: 5.6 Mio Einwohner, davon 35% Quechua, 25% Aymara, 40% Spanisch (offizielle Sprache)

    Geschichte:

  • Quechua = Runa Simi = Menschensprache (vs. Sprache der Waldindios)

    Sprache des totalitären expansionistischen Inkareiches, Kommunikationsmittel der Inka-Kolonialmacht, die sich im 15.Jh. von Cuzco aus von Chile bis Kolumbien, vom Pazifik bis zu den Amazonasurwäldern, aber primär in den Anden, ausdehnte.

    Die Inka selbst stammten aus den Amazonaswäldern und hatten Quechua von einem der ersten Stämme, auf die sie in den Anden trafen, übernommen.

  • Bereits 1533 aber wurde das Inkareich von Pizarro erobert.

    Nach der Zerstörung des Inkareiches war nur in vergleichsweise wenigen Gebieten (nördliche Küstenregionen, Cajamarca, Quito, Callao) ein Abfall von der Staatssprache Quechua und eine Rückkehr zu den alten Sprachen zu beobachten, obwohl Quechua ja nur ein knappes Jahrhundert zur Etablierung hatte.

    Aber: (restriktive Sprachpolitik der Inka plus)

    koloniale Ausbeutung und Zerstörung der Kultur und Lebensweise durch die Spanier => Desorientierung => Bereitschaft, vermeintlich Authentisches zu bewahren, zwecks Selbstfindung

    Kirche erkannte das früh, benutzte Quechua zur Christianisierung

    Soziale und sprachliche fundamentale Veränderungen durch koloniale Entwicklung:

    1) gewaltsame Einführung der spanischen sozioökonomischen Kolonialstruktur in den völlig fremden Kulturkontext

    2) gewaltsamer Verdrängungsversuch der ursprünglichen Kultur => hispanisch-christliche Herrschaftslegitimation

    3) passiver Widerstand, Sich-Zurückziehen der Überlebenden, Authentisches aus der Inkazeit als passiven Protest bewahren oder sogar neu annehmen

    ==> sozial gespaltene Sprachengemeinschaft

    - multilinguale / größtenteils nicht-hispanophone Unterschicht

    - monolinguale hispanophone Oberschicht

    Aufstieg nur durch Hispanifizierung und Christianisierung möglich (Abkehr vom "Barbarischen")

  • 1821 Unabhängigkeit

    Interessen der Kolonialmacht ersetzt durch die Interessen der Oberschicht (Handel und Großgrundbesitz)

    Oberschicht zieht in die Hauptstadt Lima und klimatisch angenehmere Regionen

    Innerer Kolonialismus:

    - Ausbeutung der vernachlässigten hochandinen Regionen

    - Konzentration des (ausländischen) Investitionskapitals auf urbane Zentren, besonders Lima ( ==> dort auch Arbeit)

    Gleichberechtigung von Quechua, bzw. der Bevölkerungsteile

  • zwei wichtige Etappen:

    1) 3. 10. 1968 stürzt linksgerichtete Militärjunta unter General Alvarado die Regierung Belaúnde.

    Landreformen zugunsten Gebiet B) -> neue Probleme in A), Wirtschaft geht bergab

    Betonung des bikulturellen Charakters des Landes:

    - Aufklärung über Kulturleistungen vor Kolonialzeit

    - Alphabetisierung in B) (teilweise erreicht, s.o.)

    2) 27. 5. 1975 Oficilazación del Quechua (Gesetz)

    Versuch, ökonomische Versäumnisse durch linguistische Beeinflußung zu mildern)

    - Quechua und Spanisch Landessprache

    - ab 1.4.1976 Unterricht in Quechua auf allen Stufen des Erziehungswesens obligatorisch

    - ab 1.1.1977 alle Gerichtsvorgänge auf Quechua, wenn quechuophone Parteien beteiligt

    - Erziehungsministerium und andere zuständige Stellen: Vorbereitung und Edition von Wörterbüchern, Texten, Manualen, Dokumenten

    =

    Sprachpolitischer Versuch (mit unterstützenden ökonomischen Maßnahmen) ökonomisch nicht vorhandene Einheit der Nation zu erreichen (läßt allerdings multilinguale Situation Perus außer acht (etwa 6% andere Sprachen)

    immense Kosten / Schätzungen: Prozeß kann nach 2 Generationen abgeschlossen sein

    1975(77?) Junta Bermúdez: Interesse an Quechua geht zurück

  • 1980 Verfassung und Rückkehr zur Demokratie, Präsident Belaúnde:

    in Verfassung

    - Spanisch offizielle Sprache, Quechua und Aymara offiziell gemäß weiteren Gesetzen

    - Förderung der indigenen Sprachen, Recht von Quechua, Aymara u.a. auf Grundschulerziehung in Muttersprache

    => d.h. anerkannt, aber nicht mehr gefördert,

    bis heute keine Gesetze, die offizielle Geltungsbereiche für Quechua und Aymara festlegen

  • seit 1992 (Präsident Fujimori) Verfassung außer Kraft, soll überarbeitet oder ersetzt werden, bis jetzt nicht geschehen.

    Beziehung Quechua - Spanisch

  • formale Ausbildung in Spanisch, Kinder verlernen Quechua, ggf. lernen Nativ Speaker Quechua an der Uni "neu"

  • seit 1977 PEEB (Proyecto Experimental de Educación Bilingüe - Puno) (mit Unterstützung der GTZ, Gesellschaft für technische Zusammenarbeit,BRD) Experiment zweisprachiger (Quechua/Spanisch) Schulen im Distrikt Puno (50% Quechuasprecher, 40% Aymara), hohe Anzahl an Schulabbrechern (34% nur 1-4 Schuljahre) und Analphabeten (32%)

    aber gescheitert:

    - technische Probleme

    - zu geringe begleitende und unterstützende Politik

    - auch Widerstand seitens Quechuabevölkerung:

    Spanisch ist wichtiger für Bildung

    Quechua ist die Sprache für die ayllu (Familie, Bezugsgruppe)

    = Trennung der Bereiche / Zuständigkeit von Sprache (Quechua gut für dies, Spanisch gut für das)

  • insgesamt aber auch (durch Offizialisierung, Schulen, Verfassung) :

    Aufwertung des Quechua, Neigung zur Verleugnung der Muttersprache geht zurück, Quechua wird als etwas Eigenes, Besonders wahrgenommen (Stolz, da Quechua "schwierige" Sprache -agglutinierend)

    Bewußtsein der Mehrsprachenproblematik nimmt zu im öffentlichen Bewußtsein, nicht nur in Quechuagemeinden

    Quechua erfährt höhere Wertschätzung, aber Spanisch wird benötigt.

    Beiträge der Sprachwissenschaft zur Sprachpolitik

    Klerus erstellt im 16.Jh. erste Manuale,

    Edikt Felipe II. 1580: Evangelium in Indiosprachen lehren

    an Ablegern europäischer Unis in Lima: Lehrstühle für Indianersprachen

    aber sprachkoloniale Intentionen: europäische Fragestellungen, Latein als Maßstab für morphologische, grammatische, lexikalische "Entwicklung"

    sprachhistorische Betätigung (18., 19. Jh), bis weit ins 20. Jh. wie in Europa unter nationalen Aspekten (Peruanismus etc)

    Verschriftung:

    Inka: keine horizontale Kommunikationsmittel aber vertikale: Quipu für Verwaltungsinformationen

    => unterschiedliche Graphien (Schriftformen)

    z.B. für KLEINKIND

    Middendorf-Grammatik: HUAHUA

    hispanische Graphie: GUAGUA

    1954 simplifizierte Normographie des Interamerikanischen Indigenistenkongresses, in Peru und Bolivien offiziell: WAWA

    Lösungsvorschläge für Quechua-Alphabet:

    älteste 1560

    deutschsprachige: Middendorf ~1890

    o.a. 1954

    1973 Vorschläge des Instituts von Pucallpa

    1975 Alberto Escobar, José Matos Mar, Giorgio Alberti

    Jürgen Kleff (kleff@ling.uni-duesseldorf.de)